Schutzengel
Die Vorstellung, dass die Menschen Schutzengel haben oder Geister mit der Aufgabe, sie zu beschützen, ist so alt wie die menschliche Kultur. Im alten Mesopotamien, der Wiege der mittelöstlichen Zivilisation, galten diesse als "massar sulmi" bekannten Schutzwesen als persönliche Gottheiten. Diese Tradition wurde von späteren Zivilisationen, wie den Babyloniern und Chaldäern, übernommen, die ihrerseits das Judentum beeinflussten und dies wiederum das Christentum und den Islam.
Die Ureinwohner Amerikas und alle schamanischen Kulturen glauben an Schutzgeister, die sich in unterschiedlichsten Formen manifestieren, insbesondere als Totem-Tiere oder als Geister der Vorfahren. Im Islam hat jeder Mensch zwei Paar hafaza, eines für den Tag und eines für die Nacht. Diese Schutzengel bewahren die Gläubigen vor den dämonischen Dschinn und halten alle Taten des Menschen in einem Buch fest, damit sie am Tag des Gerichts vorgelegt werden können. Im Koran steht: "Er (Allah) sendet Beschützer aus, die über dich wachen und deine Seele sicher geleiten, wenn dich der Tod ereilt."
Die jüdische Überlieferung stellt allen Menschen bei der Geburt einen Schutzengel zur Seite. Dem Talmund gemäß hat jeder mindestens 11000 Schutzengel, doch im Allgemeinen geht man davon aus, dass ein Mensch zwei Engel hat, einen guten und einen bösen. Diese Sicht, die mindestens bis in das dritte Jahrhundert vor Christus zurückreicht, wird auch von der katholischen Kirche geteilt.
Wir müssen unser ganzes Leben lang zu unserem Schutzengel eine tiefe Zuneigung bewahren und sollten das schöne Gebet, das uns in den Tagen unserer Kindheit gelehrt wurde, oft und voller Vertrauen wiederholen.
"Engel Gottes, der du mein Beschützer bist,
erleuchte, beschütze, bewahre und lenke mich,
der dir anvertraut wurde durch Gott im Himmel. Amen."
Katholiken glauben auch man beschützende Engel, die alles behüten, von ganzen Völkern bis hin zu den kleinsten Gemeinschaften, ebenso wie Familien, Altären und Kirchen. Alle Schutz- und beschützenden Engel gehören zur untersten Stufe der Engelshierarchie, dem Chor der Engel.
Rudolf Steiner, ein österreichischer Philosoph des 20. Jahrhunderts, vertrat die Meinung, dass unser Schutzengel und durch alle Inkarnationen geleitet und die Geschichte unserer Seele kennt. Er ist der innere Lehrer, die "ganz leise Stimme in uns". Doch wie erkennen wir ihn? Wie können wir mit ihm kommunizieren? Das erste, was wir tun müssen, ist, an die Existenz zu glauben, nicht als Möglichkeit, sondern als Tatsache, gleich wie wir diese Wirklichkeit auch benennen wollen, psychisches Phänomen oder von Gott geschaffener Geist. Eine Festlegung ist letztlich nicht wichtig. Wichtig dagegen ist, unser Unwissen anzuerkennen. Wie alles in der Schöpfung sind auch Engel ein großes Mysterium, jedoch ein zutiefst persönliches. Denn es gibt etwas, das uns besser kennt, als wir uns selber kennen. Das kann sehr beunruhigend, sogar erschreckend sein. Verspüren wir einen Schreck, scheinen wir mit unseren Taten nicht völlig im Einklang zu sein.
Nichts jedoch bleibt verborgen. Eine gute Vorbereitung für ein Treffen mit unserem Schutzengel ist, unser Leben, all unser Tun und unsere Erfahrungen zu überdenken. Ein solcher Rückblick kann viele Gefühle mit sich bringen. Sind wir bereit, alles loszulasssen, auch Selbstmitleid, Furcht, Schmerz sowie Schuld und die Verantwortung für unsere Vergangenheit zu akzeptieren, dann können wir einen ganz besonderen Zustand erreichen, einen Zustand, in dem das wahre Selbst wohnt: Demut. Dort erst finden viele von uns, von Herzen zu Herzen, diese unendlich geduldige mitfühlende Gegenwärtigkeit, die uns so gut kennt, den heiligen Schutzengel.